Die Großschmetterlinge (Tag- und Nachtfalter) der jungen Düneninsel Mellum

Abstract

Nearly 6,000 butterflies and larger moths (Macrolepidoptera: Rhopalocera and Heterocera) were caught in the young dune island Mellum (Lower Saxony) between 1994 and 1996. 144 species were caught by light trapping, 46 species flew into coloured dishes and 27 species were recorded by net sampling. They belong to 168 species of 15 families, 17 % of the species known from Northwest Germany. Altogether, 123 species were estimated to be more or less indigenous. The most dominant families are the Noctuidae (84 species, 50 %) and the Geometridae (34 species, 20 %), followed by the group called „Spinner“ (28 species, 17 %) and the group of Rhopalocera (22 species, 13 %). Twelve species may be new in the East Frisian islands and 38 species are new in Mellum.

 

1. Einleitung

Die Besiedlung von Inseln ist nach Mac Arthur & Wilson (1967) abhängig vom Isolationsgrad und der Inselgröße. Kleine oder weit vom Festland entfernte Inseln sind weniger artenreich als große oder dem Festland nahe gelegene Inseln. Je größer die Insel, desto mehr Nischen stehen den immigrierenden Organismen zur Verfügung. Mit entscheidend für den Kolonisationsgrad ist die Distanz zur Faunenquelle bzw. zum Ort, an dem Populationen der betrachteten Organismengruppe repräsentiert sind (vgl. Dennis & Shreeve 1997). Ein typisches Merkmal von Inselfaunen ist die gegenüber dem Festland geringere Artenzahl (Remmert 1965).

Für die relativ kleine, nur 6-7 km vom Festland entfernte Insel Mellum hätte seit Beginn ihrer Entstehung vor gut 100 Jahren die Kolonisation durch Pflanzen und Tiere ständig verfolgt werden können. Diese aus ökologischer Sicht einmalige Chance wurde kaum genutzt. So liegen für die Anfänge der Inselentwicklung bis zum Jahr 1928 über die Großschmetterlinge nur relativ wenige Daten vor. Danach erfolgten jahrzehntelang keine Aufsammlungen. Erst durch die Arbeitsgruppe Terrestrische Ökologie/Entomologie der Universität Oldenburg wurde die Besiedlung der Inseln Mellum und Memmert durch Insekten und andere Gliederfüßer von 1984 bis 1988 eingehend bearbeitet. Die während dieser Jahre erfassten Großschmetterlinge bilden die Grundlage für den Vergleich mit dem dort von 1994 bis 1996 erfassten Artenspektrum.

 

2. Untersuchungsgebiet

2.1 Geografische Lage und Entwicklung

Die junge Düneninsel Mellum (Abb. 1) liegt nördlich des Hohe-Weg-Watts (zwischen Jade und Außenweser), das sich nordnordwestlich von Butjadingen erstreckt. Die Koordinaten der Insellage betragen 53°43’N und 08°09’E (Reineck 1987). Wie für die alten Ostfriesischen Inseln, so bestand auch für Mellum zu keiner Zeit der Inselentwicklung eine Verbindung zum Festland (vgl. Streif 1990).

Abb. 1: Lage der Düneninsel Mellum im nordwestdeutschen Flachland
Abb. 1: Lage der Düneninsel Mellum im nordwestdeutschen Flachland

Mellum wurde erstmalig 1410 urkundlich erwähnt (Lang 1981, zit. in Reineck 1987). Zu dieser Zeit gab es auf „Mellumsand“ möglicherweise schon strandwallartige, dünenähnliche Erhebungen, auf denen spätestens 1457 eine Bake erbaut wurde. Ab Mitte des 16. bis Ende des 18. Jahrhunderts liegen widersprüchliche Aufzeichnungen über Mellum vor (Reineck 1987). Gegen Ende des 18. Jahrhunderts kommt es zu einer Vereinigung der Alten Mellum mit dem nördlicher gelegenen Hochdünkirchen, dem heutigen Norddünenkomplex (Hartung 1975, Reineck 1987).

Entscheidend für die Kolonisation durch Großschmetterlinge und andere Tiere war der Übergang vom Platenstadium zur vegetationsbedeckten Insel im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts (1870 bis 1890) (Hartung 1975, Haeseler 1988). Im westlichen Bereich der Insel kam es mit Hilfe dünenbindender Vegetation zu einer bogenförmig, nordwestlich verlaufenden Dünenbildung, der heutigen Westdüne. Von einer schmal-ovalen nordsüdgestreckten Form begann Mellum in den 1940er Jahren in eine für die alten Ostfriesischen Inseln typische West-Ost-Ausdehnung überzugehen (Hartung 1975).

Die bis Ende der 1930er Jahre vom Menschen weitgehend unbeeinflusste Insel wurde mit dem Bau militärischer Anlagen im Jahr 1940 gravierend verändert. Im südlichen Grünlandbereich wurden ca. 4 ha Bodenfläche mit Seesand aufgespült und mit einem Ringdeich umgeben. Dieser wurde mit Grassoden vom Festland und Dünengräsern von Wangerooge befestigt (Kuhbier 1975, Haeseler 1987). Heute liegt die Vogelschutzinsel Mellum in der Ruhezone 1 des Nationalparks „Niedersächsisches Wattenmeer“.

 

2.2 Witterung

Bei den Angaben über Temperatur, Niederschlag und Sonnenscheindauer werden Daten des Deutschen Wetterdienstes und zum Teil zusammenfassende Darstellungen von Behrens (1994) zugrundegelegt. Da für Mellum selbst keine zuverlässigen Wetterdaten vorliegen, wurden stellvertretend Daten der Insel Norderney herangezogen.

Entsprechend den Temperaturen des langjährigen Mittels (1961 bis 1990) wurden auch während der Erfassungszeit von 1994 bis Anfang 1996 die mittleren monatlichen Höchsttemperaturen in den Monaten Juli und August erreicht (vgl. Abb. 2). Sowohl 1994 als auch 1995 lagen diese über dem langjährigen Mittel; während der übrigen Monate der Erfassungsaktivitäten entsprachen sie annähernd dem Durchschnitt.

Für 1994 und auch 1995 lag die Jahresniederschlagssumme mit 891 bzw. 827 mm deutlich über dem langjährigen Mittel von 771 mm. Extrem nasse Monate waren während der Erfassungszeit die Monate September sowie der Juni 1995. Auffällig war in beiden Jahren die zum Teil extreme Gegensätzlichkeit in den Niederschlagssummen der einzelnen Monate.

Das langjährige Mittel der Sonnenscheindauer beträgt 1630 Stunden (4,5 h pro Tag) für die Station Norderney; der Durchschnitt in den Erfassungsjahren 1994 und 1995 ergab 1667 Stunden (1994 = 4,3 h pro Tag; 1995 = 4,8 h pro Tag). Im Jahr 1994 hatte nur der Juli eine überdurchschnittliche Sonnenscheindauer; 1995 erreichten nur die Monate Juli und August deutlich überdurchschnittliche Werte. Auffällig war in diesem Jahr die weit unter dem Durchschnitt liegende Sonnenscheindauer der Monate April und Juni.

 

2.3 Vegetation und Blühphasen

Aufgrund geringer anthropogener Beeinflussung konnte sich auf Mellum eine weitgehend natürliche Küstenvegetation entwickeln. Nur die durch den kriegsbedingten Deichbau von 1940 bis 1942 eingeschleppten Pflanzen stellen eine Störung der natürlichen Entwicklung dar. Allerdings konnten sich die so eingeführten Pflanzen nach Kuhbier (1987) nur im Bereich der Eindeichung halten. Je nach Inselgröße (über MThw), die Angaben reichen von 600 ha bis 800 ha (u. a. Wilkens 1996), bedeckt die Grünlandvegetation etwa die Hälfte bis zwei Drittel der Insel. Für die Obere und Untere Salzwiese werden über 245 ha angegeben (Hecker 1999). 1984 wurden auf der Insel 234 Pflanzenarten festgestellt (Kuhbier 1987). Die Biotoptypen werden bei Hecker (1999) und Wolff (1993) dargestellt.

Durch den maritimen Einfluss und die damit einhergehende spätere Erwärmung im Frühjahr ergibt sich für die Ostfriesischen Inseln im Vergleich zum Festland eine etwa vierzehntägige Verzögerung der Blühphasen, die sich wiederum auf die Phänologie der blütenbesuchenden Insekten auswirkt. Während der Jahre 1994 und 1995 wurden für auffällige bzw. häufige Pflanzen, die für Lepidopteren eine zum Teil wichtige Nahrungsgrundlage darstellen, die unterschiedlichen Blühphasen alle 5 Tage protokolliert.

 

... Textauszüge zu weiteren Kapiteln der Veröffentlichung aus dem Oldenburger Jahrbuch 2001 werden ggf. folgen.

 

 

5. Diskussion

Der für diese Erhebung zugrunde liegende Erfassungsumfang geht zum Teil weit über die in der Literatur vorgesehenen Erfassungsstandards hinaus. Allgemein wird zwischen der Erfassung von Tag- und Nachtfaltern unterschieden, wobei deutlich wird, dass der Erfassungsaufwand für letztere erheblich höher anzusetzen ist (vgl. Brinkmann 1998, Finck et al. 1992, Meineke 1995, Trautner 1992). Dies zeigt sich auch bei den hier durchgeführten Lichtfängen. Es wird sehr deutlich, dass die in naturschutzfachlichen Gutachten berücksichtigte Anzahl der Erfassungstage bei weitem nicht ausreichend ist. So wurden beispielsweise 100 Arten (= 70 % der Lichtfangarten) an drei Lichtfangterminen erfasst; 25 Arten wurden ausschließlich an diesen drei Terminen nachgewiesen.

 

Untersuchungsergebnisse von Haeseler & Ritzau (1998) zeigen in Bezug auf Hymenopteren, dass selbst Spezialisten trotz eines hohen Erfassungsaufwandes nur relativ geringe Nachweisraten erzielen. Da die Ergebnisse sicherlich auf Schmetterlinge übertragbar sind und der Erfasser zu Beginn der Untersuchungen nicht in die untersuchte Insektengruppe eingearbeitet war, wurde eine entsprechend intensivere Erhebung vorgenommen.

 

Ein Vergleich der Erhebungen von 1984 bis 1988 und 1994 bis 1996 zeigt, dass die gemeinsamen Arten (S = 123) 73 % des aktuellen Artenspektrums ausmachen. Somit liegt der Anteil erstmalig belegter Arten (S = 45) relativ hoch. Der Anteil exklusiver Arten erhöht sich aber noch um die 47 nicht mehr nachgewiesenen. Durch kontinuierliche Bestandskontrollen ließe sich der relativ hohe Artenaustausch minimieren, da das tatsächlich vorkommende Arteninventar erst nach mehreren Jahren erfasst ist (Meineke 1995). Für die Einschätzung des Artenaustausches sind besonders bei Lichtfängen sogenannte Randeffekte zu berücksichtigen. Diese sind aufgrund des Isolationsgrades von Mellum mehr oder weniger zu vernachlässigen, so dass die Austauschrate als relativ hoch angesehen werden kann (vgl. Utschick 1989). Bei einer Langzeituntersuchung an Tagfaltern (vgl. Reichholf 1986) ergab sich eine relative Konstanz in der Artenzahl, wodurch eine gewisse Stabilität vorgetäuscht wird; aufgrund der sich einstellenden hyperbolischen Verteilung der Arten wird aber die starke Dynamik ersichtlich (viele Arten mit dauerhafter, aber auch viele mit ephemerer Ansiedlung). Dies würde den hohen Artenaustausch auf Mellum bestätigen.

 

Die Dynamik einer so flugagilen Gruppe wie die Großschmetterlinge, erschwert eine Einschätzung der Artenzahlen zweier zeitlich relativ weit auseinander liegender Erhebungen. Denn mit zunehmender Zeitspanne zwischen zwei Untersuchungen tritt verstärkt ein sogenannter „in-and-out-effect“ auf (Diamond & May 1977): durch Aussterben, Neu- und Wiederbesiedlung bleibt der wahre Artenaustausch unbekannt. Außerdem ist es wichtig, den „Pseudoturnover“ (vgl. Nilsson & Nilsson 1983), der durch Stichprobenfehler verursacht werden kann, vom tatsächlichen Austauschgeschehen abzutrennen (Hausmann 1990).

 

Wenige Arten wurden in großer, viele in sehr geringer Zahl nachgewiesen. Besonders prägnant ist dieses Verteilungsmuster bei langjährigen Untersuchungen (vgl. Hausmann 1990, Meineke 1984, 1995). Gerade die in geringer Anzahl auftretenden Arten können bei kurzzeitigen Erhebungen leicht übersehen werden und daher bei Untersuchungen unterrepräsentiert sein. Sowohl Lichtfang als auch Farbschalen besitzen hinsichtlich des Artennachweises methodisch bedingte Grenzen, da bei Anlockmethoden immer einige Arten nicht auf die gewünschte Lockwirkung reagieren. So wurde beispielsweise der Zahnspinner Phalera bucephala nur in zwei Leuchtnächten (1995) jeweils als Einzeltier nachgewiesen, obwohl diese Art auf dem Festland recht gut Licht anfliegt (Koch 1991). Dass die Art auf Mellum indigen sein sollte, belegen jeweils zwei Funde von Raupenkolonien an Betula spec. aus den Jahren 1994 und 1995 (je 25 bis 35 Individuen).

 

Eine Unterscheidung in indigene und nicht indigene Arten ist zumeist nicht eindeutig vorzunehmen, da unbekannt ist, ob ein konkreter Bezug zur untersuchten Fläche vorliegt, oder es sich lediglich um zufällig eingewanderte bzw. verdriftete Arten handelt (Meineke 1985). Absolut gesehen wurden von 1994 bis 1996 weniger indigene Arten nachgewiesen als von 1984 bis 1988. Damals wurden 31 der durch die vorliegende Untersuchung nicht wiedergefundenen 47 Arten als indigen bewertet; dagegen finden sich unter den neu erfassten 45 Arten nur noch 16 indigene Arten.

 

Die genauere Untersuchung der vier Großgruppen (Tagfalter, „Spinner“, Spanner und Eulen) zeigt, dass besonders „Zufallsfunde“ für die Verschiebung verantwortlich sind. Als Zufallsfunde werden hier Arten bezeichnet, die nur aufgrund gesteigerter Erfassungsintensitäten nachgewiesen wurden. Beispielsweise führte die ständige Präsenz des Erfassers auf der Insel zum Nachweis folgender, nicht indigener Tagfalter: Heteropterus morpheus, Papilio machaon, Anthocharis cardamines, Celastrina argiolus, Araschnia levana, Nymphalis antiopa (Abb. 26) und N. polychloros.

 

Es gibt unterschiedliche Ansätze zur Interpretation des Kolonisationserfolges. Normalerweise werden alle nachgewiesenen Familien eines Untersuchungsgebietes untereinander in Relation gesetzt. Hierbei wird ein für gehölzarme Inseln typischer überrepräsentativer Anteil an Eulenfaltern sichtbar. Der vermeintlich „überdurchschnittliche“ Kolonisationserfolg der Noctuidae kann unter anderem mit der Größe der Arten und der dadurch bedingten kräftigeren Flügelmuskulatur begründet werden (vgl. Meineke 1995). Außerdem bevorzugen die Noctuidae in der Mehrzahl offene Vegetationsstrukturen und finden daher auf einer eher baum- und straucharmen Insel wie Mellum relativ bessere Lebensbedingungen als die meisten anderen dort vorkommenden Großschmetterlinge (vgl. Meineke 1985). Eine zusätzliche Begünstigung ergibt sich durch die mikroklimatischen Verhältnisse auf der Insel, da die meisten Larven dieser Schmetterlingsfamilie bevorzugt bodennah an Gräsern und krautigen Pflanzen leben (vgl. Meineke 1985). Die andere große Familie, die Spanner, bevorzugt aufgrund des Verhältnisses von kleinem Körper zu großen Flügeln in der Mehrzahl geschützte Lebensräume. Sie besiedeln daher beständige Vegetationstypen, also vor allem Wälder oder gehölzbestimmte Standorte (vgl. Meineke 1984, 1985, 1995, Southwood 1962) und sind daher auf Mellum den Eulenfaltern zahlenmäßig deutlich unterlegen.

 

Ein weiterer Grund für die Dominanz der Eulenfalter ist ihre Dispersionsfreudigkeit. Keine andere Familie stellt auf Mellum so viele zur Migration neigende Arten (22 Arten). Unter den Spannern findet sich keine einzige Wanderfalterart. Bei Berücksichtigung des durchschnittlichen Besiedlungserfolges von 14,6 % der bodenständigen Großschmetterlingsarten relativiert sich allerdings aufgrund der großen Anzahl der Festlandsarten dieser Familie der übermäßige Kolonisationserfolg der Eulenfalter (vgl. Abb. 24).

 

Der Kolonisationserfolg der Großschmetterlingsarten auf Mellum kann in Relation zu Nordwestdeutschland als durchschnittlich angesehen werden, wenn einige auf den Inseln Memmert und Mellum erfasste Arthropodengruppen als Referenz herangezogen werden (vgl. Haeseler 1997).

 

Mit Farbschalen konnten keine Arten erfasst werden, die nicht auch durch Netz- oder Lichtfang nachgewiesen wurden; die Individuenzahlen in Farbschalen waren aber zum Teil überraschend hoch. Das im Jahr 1995 während der Tagesexkursionen dominierende Auftreten des Dickkopffalters Thymelicus lineola entsprach phänologisch den zur gleichen Zeit im Hasbruch durchgeführten Erhebungen (vgl. Heinecke 1998). So wurden die höchsten Abundanzwerte 1995 im Hasbruch am 20.07. ermittelt; synchron kam es auf Mellum zum größten Farbschaleneinflug.
Für die Abundanzen der Inselpopulationen von 1994 und 1995 ergaben Sichtfänge keine Unterschiede. Erstaunlicherweise lagen die Farbschalenfänge für 1995 aber um das 13fache höher als die des Vorjahres (1013 : 77 Individuen). Retrospektiv ist nur schwer nachzuvollziehen, dass es sich 1995 tatsächlich um eine wesentlich größere Population handelte. Lufttemperatur und Sonnenscheindauer lagen 1994 im Juli geringfügig über den Werten des nachfolgenden Jahres, hingegen war dieser Monat 1995 trockener. Die Hauptnektarpflanzen waren Fabaceen, deren Blühphase 1995 auffälligerweise in den Juli reichte (Nachblüte), während sie 1994 zum Flugbeginn von T. lineola bereits überwiegend beendet war. Neben den Fabaceen werden nach Ebert (1993) vorzugsweise Asteraceen und Lamiaceen als Nektarpflanzen aufgesucht.
Die Einschätzung von Blab & Kudrna (1982), diesen Dickkopffalter als eine mesophile Waldart zu bezeichnen, ist aufgrund der auf Mellum vorherrschenden Vegetationsstrukturen nicht zu bestätigen. Vielmehr verhält er sich dort wie eine mesophile bis xerothermophile Offenlandsart (vgl. Ebert 1993, Vorbrüggen 1997). Die Bezeichnung „Leitart von Queckenherden“ (Bergmann 1952) beruht offensichtlich auf der Feststellung, dass die Raupe hauptsächlich an Süßgräser gebunden ist und bei reichlichem Angebot zu großen Populationen neigt. Dies wäre eine Erklärung für das massenhafte Auftreten auf Mellum, da die Insel in Teilbereichen extrem von Quecken, insbesondere Agropyron pungens, dominiert wird (Abb. 7).
Aufgrund der extremen Häufigkeit von T. lineola ist es erstaunlich, dass diese Art in den Jahren 1984 bis 1988 nicht festgestellt wurde.

 

Die allgemeine Präferenz der auf Mellum mit Farbschalen erfassten Großschmetterlinge für weiße Farbschalen bestätigt sich auch anhand der Daten aus den Jahren 1984 bis 1986 (Lobenstein 1988b) und ist offensichtlich nicht abhängig von Witterung oder Blühaspekt. Besonders Pieris rapae zeigte mit durchschnittlich über 90 % Einflug in weiße Farbschalen Extremwerte während beider Untersuchungen. Diese Tendenz wird auch durch die Nachtfalter bestätigt. Möglicherweise könnte die stärkere Reflexion von ultraviolettem Licht der weißen Schalen ein Grund für die erhöhte Attraktivität sein. Allerdings wurden mehr Großschmetterlingsarten durch gelbe Farbschalen nachgewiesen. Gegenüber dem Einflugverhalten von Großschmetterlingen zeigen Blattwespen und Schwebfliegen eine erheblich höhere Affinität hinsichtlich gelber Farbschalen (vgl. Ritzau 1988, Ssymank 1991).

 

Die erhobenen Lichtfangdaten liefern im Durchschnitt ein Verhältnis von 1 M : 2,1 WW. Abgesehen von der allgemeinen Annahme, dass männliche Falter aufgrund der Partnerfindung flugagiler sind, ergibt sich auch wegen der für die meisten Arten bekannten Proterandrie der Eindruck erhöhter Anzahlen für Männchen (Malicky 1974). Umso auffälliger war daher das Geschlechterverhältnis von etwa 9 MM : 1 W beim Anflug von Malacosoma castrensis (Lasiocampidae).
Die durch künstliche Lichtquellen gewonnenen Anflugdaten entsprechen nicht der tatsächlich im Freiland vorhandenen Geschlechterrelation, die in der Regel ungefähr 1 : 1 beträgt, oft nur mit geringer Verschiebung zugunsten der Männchen (Malicky 1974). Zu berücksichtigen bleibt, dass Anlockmethoden nur artspezifische Fangzahlen liefern (vgl. Reichholf 1988, Schaefer 1992).
Der Vergleich mit den Untersuchungsergebnissen von Lobenstein (1988b) zeigt eine große Übereinstimmung mit den für Salzwiesen und Dünen festgestellten Arten. Dies lässt auf eine gewisse Stabilität dieser Bereiche schließen. Die Zunahme der an Gehölze gebundenen Arten weist auf die fortschreitende Entwicklung innerhalb des Ringdeiches hin.
Die Frage, warum insgesamt deutlich weniger Eulen- und Spannerarten nachgewiesen wurden, ist letztlich nicht zu beantworten. Sicherlich ist aber die kontinuierliche Lichtfangerfassung nur eines Jahres (1995) nicht aussagefähig genug, um vergleichbare Ergebnisse gegenüber den Jahren 1986 bis 1988 zu liefern. Läge eine annähernd kontinuierliche Lichtfangtätigkeit auch für 1994 vor, wären sicher mehr Arten erfasst worden; auch einige fragliche Arten wären hinsichtlich ihrer Indigenität besser zu beurteilen gewesen.

 

Als potenziell auf Mellum nachweisbare Großschmetterlinge sind generell alle auf den Ostfriesischen Inseln und auf dem angrenzenden Festland vorkommenden Arten zu betrachten. Allerdings reduziert sich die Anzahl hinsichtlich der möglichen indigenen Arten beträchtlich, da die Schmetterlinge als phytophage Gruppe in erster Linie von den für die Raupen zur Verfügung stehenden Pflanzen abhängig sind. So sind beispielsweise die Spanner aufgrund zusammenhängender Gehölzbereiche auf Borkum viel stärker vertreten als auf Mellum (vgl. Bröring et al. 1993, Kleinekuhle 1995).
Die nach Sørensen (1948) für Mellum (aktuell) und die alten Ostfriesischen Inseln errechnete Ähnlichkeitszahl von 55 verdeutlicht, dass ein erheblicher Unterschied im Artenspektrum besteht. Da es sich für die Inselkette um eine mehr oder weniger veraltete Datengrundlage handelt, ist anzunehmen, dass wahrscheinlich alle auf Mellum nachgewiesenen Großschmetterlinge auch auf wenigstens einer weiteren Ostfriesischen Insel bodenständig sind.
Bei Ähnlichkeitsvergleichen sind eigentlich die stenöken bzw. stenotopen Arten von besonderem Interesse. Daher sollten die oftmals mit einem hohen prozentualen Anteil in beiden Gebieten vorkommenden Ubiquisten für die Berechnung der Ähnlichkeiten ausgeschlossen werden (vgl. Erhardt 1999). Dies wurde in der vorliegenden Untersuchung so nicht durchgeführt. Häufig existieren unzureichende und veraltete Angaben zur ökologischen Einordnung insbesondere der Nachtfalter. Dies ist darauf zurückzuführen, dass in Küstennähe häufig in andere Bereiche ausgewichen wird, da zum Teil untypische Raupenfraßpflanzen bevorzugt aufgesucht werden (z. B. Malacosoma castrensis an Limonium vulgare).

 

Die Aussagekraft Roter Listen wird in der Literatur kontrovers diskutiert; die Heranziehung solcher Listen ist in der Regel nur bei regionalem Bezug sinnvoll. Von den 168 insgesamt nachgewiesenen Großschmetterlingsarten auf Mellum sind 52 Arten (31 %) in der niedersächsischen Roten Liste (Lobenstein 1988c) aufgeführt. Mit dem relativen Anteil von 31 % Rote-Liste-Arten entspricht Mellum annähernd den 40 % Borkums, allerdings sind für diese Insel bisher 115 Großschmetterlingsarten belegt. Aufgrund der geringeren Biotopvielfalt und der wesentlich geringeren Inselgröße sollte der Anteil Rote-Liste-Arten auf Mellum als hoch angesehen werden. Sämtliche halotopobionten und halophilen Arten auf Mellum werden als hochgradig gefährdet angesehen (Lobenstein 1988b). Auch wenn die Artenquantität gering ist, so ist die Artenqualität sehr hoch zu bewerten.

 

Für die Ostfriesischen Inseln spiegelt die Datengrundlage hinsichtlich der Großschmetterlinge keinerlei Aktualität wider. Die Auffassung, Borkum sei die am besten untersuchte Ostfriesische Insel, lässt sich nur mit den vielen zu früherer Zeit durchgeführten Aufsammlungen begründen. So basieren auch die Angaben zu den Nachtfaltern bei Kleinekuhle (1995) auf den Daten der von F. und R. Struve im Zeitraum von 1932 bis 1943 erfassten Großschmetterlingsarten. Nur für die Insel Mellum ist aufgrund der vorliegenden Untersuchung und der von Lobenstein (1988b) durchgeführten Erhebung ein relativ gut erfasstes aktuelles Artenspektrum bekannt. Vergleiche zwischen Mellum und Borkum sind beispielsweise nur bedingt aussagekräftig, da dort heute sicher sehr viel mehr bzw. andere Großschmetterlingsarten etabliert sind. Wichtig wäre ein kontinuierliches Monitoring, um so Fragen zum Dispersions- bzw. Migrationsgeschehen beantworten zu können. Untersuchungen zum Flächenanspruch bestimmter Arten wären gerade im Hinblick auf die immer stärker eintretende Verinselung der Kulturlandschaft von großer Bedeutung. Anhand der ostfriesischen Inselkette könnten Erhebungsdaten von jungen Inseln mit älteren und strukturierteren Inseln verglichen werden, ausgezeichnete Möglichkeiten, die in anderen Regionen der Erde entsprechend künstlich geschaffen wurden (vgl. Simberloff & Wilson 1969, 1970, Wilson & Simberloff 1969, Rey & Strong 1983).

 

6. Zusammenfassung

Während der Jahre 1994 bis 1996 wurden auf der jungen Düneninsel Mellum mit Hilfe verschiedener Nachweismethoden 168 Großschmetterlinge (15 Familien) erfasst. Das so ermittelte Artenspektrum entspricht etwa 17 % der für Nordwestdeutschland bekannten Arten bzw. 48 % der ostfriesischen Inselkette.

 

Von den etwa 6000 bestimmten Individuen, die zu 96 % aus Farbschalenfängen und Lichtfängen stammten, wurden lediglich 4 % der Tiere durch Netzfänge erfasst; Zählungen für Wanderfalter fanden hierbei keine Berücksichtigung. Insgesamt entfallen auf die Tagfalter 22 Arten (13 %), auf die Eulen 84 Arten (50 %), auf die Spanner 34 Arten (20 %) und auf die „Spinner“ 28 Arten (17 %).

 

Die Lichtfänge der Jahre 1994 bis 1996 ergaben 144 Arten (10 Familien); 138 Arten wurden 1995 festgestellt. Mit Netzfängen wurden insgesamt 27 Großschmetterlingsarten (7 Familien) nachgewiesen; die Farbschalen erbrachten 1994 und 1995 insgesamt 46 Arten (6 Familien). Weiße Farbschalen wurden von deutlich mehr Individuen angeflogen (N = 2378, S = 35), doch ergaben gelbe Schalen einen geringfügig höheren Nachweis an Arten (N = 817; S = 37). Die Geschlechterrelation für die Farbschalen lag über beide Jahre gesehen bei ungefähr 1 : 1. Am Beispiel des Dickkopffalters Thymelicus lineola zeigte sich, dass Geschlechterrelationen von Farbschalennachweisen und Netzfängen sehr gegensätzlich ausfallen können.

 

Mit der Jackknife-Estimation wurde für Lichtfänge ein Erfassungsgrad von 75 % errechnet; damit lag die Übersehensrate etwas höher als für Lichtfänge von 1986 bis 1988. Den 170 Großschmetterlingsarten von 1984 bis 1988 stehen 168 Arten der aktuellen Erfassung gegenüber. Für die indigenen Arten fällt die Differenz jedoch größer aus: 136 zu 123 Arten.

 

Mit ca. 50 % dominieren auf Mellum Arten, die an Kräuter bzw. Hochstauden gebunden sind. Danach folgen gehölzgebundene Arten mit ca. 26 %, und ca. 23 % leben an Gräsern. Relativ gesehen wurden 1994 bis 1996 mehr gehölzgebundene Arten festgestellt als 1984 bis 1988.

 

Gegenüber dem Untersuchungsergebnis von Lobenstein (1988b) wurden für Mellum 45 Arten erstmalig belegt, 47 Arten konnten nicht mehr nachgewiesen werden. Möglicherweise wurden durch die vorliegende Erhebung 12 für die Ostfriesischen Inseln noch nicht festgestellte Arten ermittelt; für Mellum wurden 38 neue Großschmetterlingsarten erstmals registriert.

 

Der Anteil von 52 Rote-Liste-Arten ist im Vergleich zu den Ostfriesischen Inseln eher gering, muss aber aufgrund der geringen Biotopvielfalt Mellums als relativ hoch eingeschätzt werden. Besonders die im Dünen- und Salzwiesenbereich vorkommenden Arten werten die geringe Artenquantität stark auf.